Die Jumping Boys von Sansibar – Ein Einblick in ihren Alltag und ihre Herausforderungen

Sansibar, eine Insel voller Schönheit, pulsierender Märkte, lebendiger Farben und herzlicher Menschen, hat auch eine andere Seite, die vielen Besucher*innen verborgen bleibt. Die Geschichte der Jumping Boys gibt einen tieferen Einblick in das Leben vieler junger Menschen auf der Insel – ein Leben, das von Kreativität und Überlebenswillen, aber auch von großen Unsicherheiten geprägt ist.

Die Jumping Boys von Sansibar Die Jumping Boys von Sansibar Hier seht ihr mich zusammen mit den Jumping Boys an dem Ort in Stone Town, an dem sie immer ins Wasser springen. [Foto von Leonie Hofius, Alle abgebildeten Personen haben der Veröffentlichung zugestimmt.]

Das Phänomen der Jumping Boys

Wer am Forodhani Garden oder abends über den berühmten Nachtmarkt von Stone Town schlendert, begegnet ihnen unweigerlich: junge Männer, die mit spektakulären Sprüngen ins Wasser Tourist*innen unterhalten. Sie singen das bekannte „Jambo Jambo“-Lied,tanzen und vermitteln den Eindruck eines unbeschwerten Lebens voller Spaß, Freiheit und Sonnenuntergänge. Doch hinter dieser Fassade steckt eine oft harte Realität. Die Jumping Boys verdienen ihren Lebensunterhalt mit diesen kurzen Shows, für die Touristinnen meist kleine, seltener größere Beträge für Fotos oder Videos zahlen. Was für Außenstehende wie eine lockere Unterhaltung wirkt, ist für die jungen Männer ein täglicher Kampf ums Überleben. Ihre Arbeit ist nicht nur von der Gunst der Touristinnen abhängig, sondern auch von den Gezeiten. Bei Ebbe sind die Sprünge unmöglich oder mit einem hohen Verletzungsrisiko verbunden – Verletzungen, die ohne Krankenversicherung oft nicht ausreichend behandelt werden und langfristige Folgen haben können.

Saisonale Herausforderungen und neue Vorschriften

Während der Hochsaison, wenn die Strände voller Tourist*innen sind, können die Jumping Boys oft genug verdienen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Doch in der Nebensaison und während des Ramadans bricht das Geschäft fast vollständig ein. Viele versuchen, in guten Zeiten Geld für schlechtere Phasen beiseitezulegen, doch das gelingt nicht immer. Jeder Tag ist unvorhersehbar, und die Abhängigkeit vom Tourismus macht das Einkommen unsicher.

Zusätzlich erschweren neue Vorschriften ihre Arbeit erheblich. Seit Kurzem benötigen die Jumping Boys offizielle Genehmigungen und Ausweise, um überhaupt springen zu dürfen. Tourist*innen, die selbst ins Wasser springen möchten, müssen Schwimmwesten tragen. Vor einigen Monaten (18.12-30.12) war das Springen sogar für einige Zeit komplett verboten, und die Polizei kontrollierte die Einhaltung streng. Nach Protesten, vor allem in den sozialen Medien, wurde das Verbot wieder aufgehoben, doch die Rahmenbedingungen haben sich stark verändert. Viele der jungen Männer haben Schwierigkeiten, die erforderlichen Dokumente zu erhalten. Besonders problematisch ist, dass einige von ihnen Rastahaare tragen – eine Frisur, die auf Sansibar oft mit Kriminalität oder einem „ungezogenen Lebensstil“ assoziiert wird. Diese Vorurteile haben historische und gesellschaftliche Wurzeln. Rastafaris sind in Teilen Ostafrikas nicht nur eine religiöse, sondern auch eine soziale Bewegung, die oft als rebellisch wahrgenommen wird. Daher kann das Tragen von Rastahaaren dazu führen, dass junge Männer stigmatisiert und mit Misstrauen behandelt werden. Wer eine Genehmigung beantragen möchte, muss sich die Haare schneiden lassen, da diese als Zeichen von Rebellion oder Unzuverlässigkeit gelten. Für viele ist das nicht nur eine persönliche Einschränkung, sondern auch Ausdruck struktureller Diskriminierung. Wer ohne Genehmigung beim Springen erwischt wird, muss mit Festnahmen rechnen – oft bleibt ihnen nur die Möglichkeit, sich durch Bestechung freizukaufen. Diese Erfahrungen zeigen, wie stark soziale Ungleichheiten und Machtverhältnisse den Alltag vieler Sansibari bestimmen.

Gibt es Jumping Girls

Interessanterweise gibt es keine „Jumping Girls“ auf Sansibar. Das liegt nicht daran, dass Mädchen und junge Frauen nicht genauso sportlich oder kreativ wären – vielmehr spielen gesellschaftliche Erwartungen und Geschlechterrollen eine entscheidende Rolle. Während es für junge Männer als akzeptabel gilt, sich mit waghalsigen Sprüngen ihren Lebensunterhalt zu verdienen, würde dies bei jungen Frauen als unangemessen betrachtet werden. Die traditionellen Vorstellungen von Weiblichkeit und Anstand setzen Mädchen oft engere Grenzen, was ihre beruflichen Möglichkeiten betrifft. Dies spiegelt sich auch in anderen Bereichen wider: Frauen haben in vielen Berufen, besonders im öffentlichen Raum, weniger Sichtbarkeit. Während Männer beispielsweise als Tourguides oder in Restaurants arbeiten, sind Frauen häufiger in familiären oder informellen Wirtschaftsbereichen tätig.

Fehlende Alternativen und unsichere Zukunftsperspektiven

Angesichts der vielen Herausforderungen stellt sich die Frage, warum die jungen Männer nicht einfach eine andere Arbeit suchen. Doch die Antwort darauf ist alles andere als einfach. Sansibar bietet nur wenige sichere und verlässliche Einkommensquellen, und der Tourismus ist für viele die einzige Chance auf ein regelmäßiges Einkommen. Das Bildungssystem auf Sansibar ist in vielen Bereichen unterfinanziert, und nicht alle Jugendlichen haben Zugang zu einer guten Ausbildung. Während in den Schulen grundlegende Kenntnisse vermittelt werden, fehlen oft praxisnahe Inhalte, die jungen Menschen helfen könnten, sich eine Zukunft außerhalb des Tourismus aufzubauen. Hinzu kommt, dass der Tourismus nicht nur Chancen bietet, sondern auch Abhängigkeiten schafft: Viele Sansibari arbeiten in Jobs, die stark von der Saison und den Bedürfnissen der Tourist*innen abhängen. Wer nicht im Hotelgewerbe oder als Guide arbeitet, bleibt oft nur auf informelle Tätigkeiten angewiesen – so wie die Jumping Boys.

Verantwortung der Tourist*innen – Wie kann nachhaltiger Tourismus aussehen?

Als Touristin auf Sansibar stellt sich die Frage: Welche Rolle spielen Besucherinnen in dieser Dynamik? Wie können sie verantwortungsbewusst mit Angeboten wie den Jumping Boys umgehen? Hier einige Gedanken:

• Bewusst spenden: Anstatt wahllos Geld zu verteilen, kann es sinnvoller sein, direkt für Bildungs- oder soziale Projekte auf der Insel zu spenden.

• Respektvoller Umgang: Viele Tourist*innen filmen oder fotografieren die Jumping Boys, ohne zu fragen. Ein respektvoller Umgang bedeutet, vorher um Erlaubnis zu bitten und die Menschen nicht nur als Fotomotiv zu betrachten.

• Nachhaltige Angebote unterstützen: Wer in lokalen Restaurants isst, bei kleinen Anbieter*innen bucht oder fair gehandelte Souvenirs kauft, stärkt die lokale Wirtschaft.

Fazit

Die Jumping Boys stehen stellvertretend für eine ganze Generation junger Sansibari, die täglich um ihren Platz im Leben kämpfen. Ihre Arbeit mag für Außenstehende wie ein harmloser Zeitvertreib erscheinen, doch sie zeigt die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen, mit denen viele hier konfrontiert sind. Sansibar ist ein Paradies – aber eines, in dem nicht alle die gleichen Chancen haben. Wer die Insel besucht, kann mit kleinen, bewussten Entscheidungen dazu beitragen, dass die Menschen vor Ort langfristig profitieren – und nicht nur für den Moment überleben.

Quellen:

– Eigene Beobachtungen und Erfahrungen in Stone Town, Sansibar (Dezember, 2024)

– Gespräche mit den „Jumping Boys“ in Stone Town, Sansibar (Dezember, 2024)