Herausforderungen und Chancen: Die tansanische Jugend zwischen Bildungsweg und Berufsangebot
Ein Gespräch über Berufsperspektieven mit Simai Juma Mselem und Kolleg*innen des PPIZ zeigt einzelne Sichtweisen zu Perspektiven, aber auch vorallem Hindernissen auf mit der die überwiegend junge Gesellschaft in Tansania auf dem Weg ins Berufsleben zu tun haben.
![Picture of Mr. Simai Juma Mselem Picture of Mr. Simai Juma Mselem](/storage/app/uploads/magazine/public/673/b28/d84/thumb_529_750_0_0_0_auto.jpeg)
Wer in den letzten Jahren die Nachrichten in Deutschland verfolgt hat, wird an der Thematik des demografischen Wandels nicht vorbeigekommen sein. In Deutschland drückt er sich durch eine im Schnitt zunehmend alternde Gesellschaft aus, der die jungen Menschen ausgehen, welche die Wirtschaft vorantreiben. In Tansania kann man das genaue Gegenteil beobachten. Während bei uns die Generation der Baby-Boomer den größten Teil der Bevölkerung ausmacht, sind es hier die Menschen im Alter von 15 bis 30 Jahren.
Dies spiegelt sich auch in der Organisation wider, in der ich selbst arbeite, dem Practical Permaculture Institute Zanzibar (PPIZ). Viele meiner Kolleg_innen haben die 30 nicht überschritten und stehen noch in Kontakt zu ihren ehemaligen Universitäten auf Sansibar. Das erleichtert es ihnen, regelmäßig Studierende für Kurse des PPIZ zum Thema Permakultur zu gewinnen. In der ersten Zeit nahm ich ebenfalls an diesen Workshops teil, kam dadurch mit den anderen Teilnehmenden ins Gespräch und hatte so die Möglichkeit mehr über ihre Leben zu erfahren. Dabei sah ich des Öfteren, mit welchen Herausforderungen junge Tansanier_innen im Bereich Ausbildung/Studium und Beruf konfrontiert sind. Ein Mann erzählte mir beispielsweise, er müsse in dem Malereibetrieb seines Vaters aushelfen und darunter leide seine Ausbildung. Einer seiner Freunde sei ebenfalls unzufrieden. Sein Projekt, welches sich mit erneuerbaren Energien beschäftige, sei gerade aufgrund von fehlender finanzieller Unterstützung abgelehnt worden und nun überlege er nach Europa zu gehen.
Auf dem Weg zu einem zufriedenstellenden Beruf in Tansania müssen nicht nur diese zwei Männer Hindernisse überwinden. Doch wo gibt es Probleme? Und was wünschen sich betroffene Personen für die Zukunft?
Der 21-jährige Simai Juma Mselem lebt in Kizimkazi, Mkunguni, im Haus seiner Eltern. Als jüngstes Kind muss er sich um seinen pflegebedürftigen Vater kümmern. Trotzdem möchte er bald studieren und bewarb sich deshalb vor einiger Zeit sowohl auf dem Festland im Bereich Beschaffungs- und Logistikverwaltung, als auch auf Sansibar auf den Studiengang „Art in Tourism Management and Marketing“. Beide Male sei er angenommen worden, entschieden habe er sich für die zweite Option. Davon verspreche er sich mehr. Das überrascht wenig, denn der Tourismus- Sektor auf Zanzibar boomt und macht mittlerweile fast ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes aus. Außerdem, so Simai, sei angeblich der Bau eines Hafens in Kizimkazi geplant. „Vielleicht kann ich von dem Hafen in Kizimkazi profitieren.“
Sehr optimistisch klingt er allerdings nicht. Es würde vermutlich schwierig werden eine Anstellung am Hafen zu bekommen, erklärt er. Ohne interne Kontakte habe man deutlich geringere Chancen.
„No connections, no job“ lautet seine ernüchternde Einschätzung.
Überhaupt scheint seine Studienwahl wenig mit starkem Interesse, geschweige denn mit dem Drang nach Selbstverwirklichung zu tun zu haben. Stattdessen wirkt es so, als habe er sich das ausgesucht, was ihm am ehesten einen Arbeitsplatz verspricht.
Und diesen Ansatz verfolgt vermutlich nicht nur er. Im Jahr 2023 bemühten sich laut statista 3,49 Prozent der Bewohner Tansanias im Alter von 15 bis 24 Jahren vergeblich um Arbeit. Und das sind ausschließlich die Menschen, die erfasst werden. Gelegenheitsarbeit und informelle Tätigkeiten, die nur wenige Stunden in der Woche ausgeübt werden, sind bei dieser Zahl ebenso wenig berücksichtigt wie die saisonale Landwirtschaft. Die reale Arbeitslosigkeit ist also sicherlich deutlich höher. Bei Umfragen zu Herausforderungen junger Leute in Tansania aus dem Jahr 2016 stellte sich der Mangel an Berufsangeboten als die mit Abstand führende Problematik (71%) heraus, weit vor finanziellen Schwierigkeiten (42%) und dem Mangel an Zugang zu guter Bildung (30%).
Trotzdem fühlten sich von letzterem immerhin ein Drittel der befragten Personen betroffen und auch dieses Thema beschäftigt Simai. Er wisse nicht, ob die Bildung im Westen (USA und Europa) tatsächlich besser sei, er bemerke aber, dass Personen, die dort studiert hätten, in Tansania viel leichter an Jobs kämen als solche, die ihre Bildung hier genossen hätten. Deshalb wolle er im Westen studieren und anschließend hierher zurückkommen. „Ich habe mich für ein Stipendium in der Türkei beworben. Und ich wurde angenommen.“ erzählt er. Allerdings wären die Kosten nur zur Hälfte getragen worden und Simai habe keine Möglichkeit gehabt, den Rest aufzutreiben. Einige meiner jungen Kolleginnen des PPIZ, die selbst bereits ihre Abschlüsse haben, erzählten von Leuten in ihrem Umfeld, die wie Simai planen würden, in Europa oder den USA zu studieren. Sie erwähnten beispielsweise staatliche Förderprogramme für ein Studium der Landwirtschaft in Israel.
Meine Kolleginnen schilderten außerdem, dass sie sich stärker in ihrer lokalen Gemeinde engagieren und zur Wirtschaft der Insel beitragen wollten. Häufig gestaltet sich das schwierig, denn junge Menschen sind in kommunalen Verwaltungen und Entscheidungsorganen Tansanias und Sansibars stark unterrepräsentiert.Zusätzlich seien Korruption und Vetternwirtschaft dort noch immer verbreitet. Die meisten Befragten der erwähnten Umfragen aus 2016 verorteten hier neben der Arbeitslosigkeit und der Ungleichheit zwischen Reich und Arm auch den stärksten Verbesserungsbedarf. Zwar gelang es dem ehemaligen Präsidenten John Magufuli während seiner Amtszeit von 2015 bis 2021 beispielsweise durch tausende Entlassungen von Beamten die Korruption teilweise zu verringern, dennoch bleibt sie bisher eine nicht zu verachtende Stellschraube des politischen und wirtschaftlichen Lebens in Tansania.
Die tansanische Regierung bemüht sich allerdings die Jüngsten des Landes nicht im Stich zu lassen. Menschen im Alter zwischen 15 und 35 Jahren machen etwa 70 Prozent der Arbeitskräfte des Landes aus, meistens ohne Anstellung. Die 2007 ins Leben gerufene „National Youth Development Policy“ zielt darauf ab, jungen Menschen mehr Möglichkeiten der Beschäftigung zu bieten und ihre Teilnahme an Wirtschaft und Politik zu erleichtern. Dieses Jahr am 12. August 2024, dem internationalen Tag der Jugend, wurde sogar die Überarbeitung dieser Strategie bekannt gegeben. Zudem scheint die Regierung besonders in der Landwirtschaft, die etwa zwei Drittel der Arbeitsplätze im Land bereitstellt, Potential für eine starke Entwicklung zu sehen und führte deshalb Ende 2016 bis 2021 die „National Strategy for Youth Involvement in Agriculture“ (NSYIA) ein, die jungen Erwachsenen zum Beispiel den Zugang zu Land und Krediten erleichtern sollte. Darauf folgte 2022 die Initiative „Building a better tomorrow: Youth Initiantive for Agribusiness“ (BBT-YIA), die bis 2030 von jungen Menschen geführte Agrarunternehmen betreuen und fördern soll.
Aber nicht immer erfahren junge Menschen solche Unterstützung. Laut meiner Kolleginnen fehle es häufig an Respekt gegenüber ihrem Engagement. So habe sich eine der Frauen mit ihrem Projekt nicht wertgeschätzt gefühlt und sei eher belächelt worden. Man habe sich für ihre Ideen nicht ehrlich interessiert.
Das ist gerade deshalb schade, weil laut der African Youth Survey 2024 64 Prozent der jungen Tansanier_innen im Gegensatz zu ihr nicht einmal wissen, was sie in der Zukunft machen wollen. Trotz alledem scheint es aber so, dass junge Tansanier_innen keineswegs pessimistisch eingestellt sind. 2022 seien laut dem Afrobarometer gut 60 Prozent der Befragten im Alter zwischen 18 und 30 Jahren der Meinung gewesen, dass Tansania sich im Allgemeinen in die richtige Richtung entwickle. Umfragen aus dem Jahr 2016 (leider die aktuellsten, die wir zu diesem Thema finden konnten) legen außerdem nahe, dass junge Leute im Wesentlichen positiv ihrer Zukunft entgegenblicken - auf dem Festland noch stärker als auf Sansibar.
Die Menschen mit denen wir gesprochen haben, auch fernab von Simai und den Frauen des PPIZ, waren trotz ungewisser Zukunft meistens optimistisch. Oft wissen sie um das große Potential, das sie Tansania bieten und sind bereit selbst Anstrengungen anzustellen, um ihren Beitrag in ihren Gemeinden und ihrem Land zu leisten. Trotzdem wünschen sie sich häufig mehr politische Veränderungen und Unterstützung auf nationaler und kommunaler Ebene, besonders in drei übergeordneten Bereichen: Viele von ihnen hoffen auf mehr Berufsangebote, eine bessere Bildung und die Möglichkeit, sich in der Politik und in ihren Gemeinden stärker einbringen zu können und gegenüber ihren Ideen mehr Beachtung und Wertschätzung zu erfahren. Fest steht, möchte Tansania das ganze Potenzial seiner jungen Bevölkerung voll ausschöpfen, so ist es unerlässlich, auf die Stimmen eben dieser jungen und motivierten Menschen zu hören.
Wir, Jonathan und Kira, möchten final noch betonen, dass wir uns kein abschließendes Urteil über die politische Lage Tansanias und die Lage der jungen Menschen vor Ort machen können, weil uns dafür Einblicke und Expertise fehlen. Der Text soll lediglich verbreitete Meinungen und Lebensrealitäten von einigen dieser Leute abbilden. In diesem Zusammenhang wollen wir auch klarstellen, dass wir den Wahrheitsgehalt der zitierten Aussagen nicht beurteilen können, weil jede Unterhaltung mit Sprachbarrieren und mit einer gewissen Zurückhaltung, basierend auf noch fehlender Vertraulichkeit stattgefunden hat.
[1] Aaron O‘Neill: „Tanzania: Youth unemployment rate from 2004 to 2023“. statista. 2024. https:// www.statista.com/statistics/813098/youth-unemployment-rate-in-tanzania/. (Stand: 07. November 2024). [2] „African Youth Survey 2024: A Turning Point for African Youth“. Ichikowitz Family Foundation. 2 0 2 4 . h t t p s : / / i c h i k o w i t z f o u n d a t i o n . c o m / s t o r a g e / r e p o r t s / S e p t e m b e r 2 0 2 4 / GSLcmLTnruHzhTrIuDOV.pdf. (Stand: 07. November 2024). [3] Constantine George Simba, Derick Msafiri: „Tanzanian youth cite health, water, economy as priority problems government should address“. Afrobarometer. 2024. https://www.afrobarometer.org/publication/ad810-tanzanian-youth-cite-health-water-economy- as-priority-problems-government-should-address/. (Stand: 13. November 2024). [4] „International Youth Day 2024: Tanzania unveils amended National Youth Development Policy“. International Labour Organization. 2024. https://www.ilo.org/resource/article/international-youth- day-2024-tanzania-unveils-amended-national-youth. (Stand: 14. November 2024). [5] „National strategy for youth involvement in agriculture 2016-2021“. The United Republic of Tanzania - Ministry of Agriculture. 2017. https://www.kilimo.go.tz/index.php/resources/view/ national-strategy-for-youth-involvement-in-agriculture-2016-2021. (Stand: 07. November 2024). [6] „Next Generation: Youth Voices in Tanzania“. British Council. 2016. https:// www.britishcouncil.org/sites/default/files/tanzania_the_next_generation_report.pdf. (Stand: 07. November 2024). [7] Oscar Kimaro: „Youth in Tanzania: Their Priorities, Challenges and Opportunities“. 2015. https://www.hss.de/download/publications/AMEZ_21_Jugend_11.pdf. (Stand: 10.11.2024) [8] „Präsident entlässt Tausende Beamte - wegen gefälschter Abschlüsse“. 2017. https:// www.spiegel.de/politik/ausland/tansania-fast-10-000-beamte-entlassen-wegen-gefaelschter- abschluesse-a-1145423.html. (Stand: 30. Oktober 2024). [9] Saumu Jumanne: „Tanzania's struggle with youth employment: A critical look“. The Citizen. 2023. https://www.thecitizen.co.tz/tanzania/oped/tanzania-s-struggle-with-youth-employment-a- critical-look-4431252. (Stand: 10.11.2024). [10] „Tanzania- Building a better Tomorrow: Youth Initiatives for Agribusiness (BBTYIA) - 2022-2030“. The United Republic of Tanzania - Ministry of Agriculture. https://www.kilimo.go.tz/ uploads/books/Building_a_Better_Tomorrow_Document_-_BBT-YIA_Booklet_2022.pdf. (Stand: 07. November 2024). [11] „Tanzania & Zanzibar: Labour Market Profile - 2024/2025“. Ulandssekretariatet - Danish Trade Union Development Agency. 2024. https://www.ulandssekretariatet.dk/wp-content/uploads/ 2024/10/Tanzania-LMP-2024-final1.pdf. (Stand: 13. November 2024). [12] „Thema: Junge Tansanier/innen: Mentalität und Jugendprobleme - 02/2018“. Mission - Eine Welt: Tanzania Information. 2018. https://www.tansania-information.de/index.php? title=Thema:_Junge_Tansanier/innen:_Mentalität_und_Jugendprobleme_-_02/2018. (Stand: 13. November 2024). [13] Valensi Corbinian Kyara, Mohammad Mafizur Rahman, Rasheda Khanam: „Tourism expansion and economic growth in Tanzania: A causality analysis“. 2021. https://www.cell.com/ heliyon/fulltext/S2405-8440(21)01069-0. (Stand: 10.11.2024)