Leben, Sterben und Zusammenhalt: Zwei Perspektiven auf Beerdigungen in Tansania

Während der Tod in Europa oft im Stillen geschieht, haben wir in Tansania eine ganz andere Erfahrung gemacht: Beerdigungen, die nicht nur Abschied, sondern auch Gemeinschaft, Glauben und Solidarität ausdrücken. In zwei persönlichen Geschichten – aus Sansibar und Dodoma – erzählen wir von Ritualen, die uns gezeigt haben, dass der Tod hier kein Tabu ist, sondern Teil des Lebens.

Friedhof Nkuhungu, Dodoma Friedhof Nkuhungu, Dodoma Es sind Gräber des katholischen Friedhofs in Nkuhungu, Dodoma zu sehen. [Foto von Moritz Weith, Moritz Weith]

Der Tod ist in vielen westlichen Gesellschaften ein Thema, dem man eher aus dem Weg geht. Er findet oft im Verborgenen statt, leise und abgeschirmt. Ganz anders haben wir ihn während unseres Freiwilligendienstes in Tansania erlebt. In zwei persönlichen Erfahrungsberichten – einer aus Sansibar, einer aus Dodoma – erzählen wir, wie Beerdigungen dort nicht nur dem Abschied dienen, sondern auch Ausdruck von Gemeinschaft, Glauben und gelebter Solidarität sind. Ob stilles Gebet in der Moschee oder mehrtägige christliche Trauerfeier mit Gesang und gemeinsamen Mahlzeiten: Die Begegnung mit dem Tod hat uns neue Perspektiven eröffnet. Nicht nur auf das Sterben, sondern auch auf das, was das Leben ausmacht.

Die Perspektive eines Freiwilligen auf Sansibar:

Während meines Einsatzes als Freiwilliger auf Sansibar hatte ich die Möglichkeit, an einer Begräbnisfeier teilzunehmen, die mir einen ganz anderen Einblick zu einer Beerdigung gab. Es war die Bestattung des ehemaligen Dorfältesten, auch bekannt als Sheha. Schon früh am Morgen fiel mir auf, dass sich ungewöhnlich viele Menschen im Dorf versammelten. Als ich nachfragte, erfuhr ich, dass der Sheha verstorben war – eine respektierte Persönlichkeit im Dorf. Entschlossen, der Zeremonie beizuwohnen, fand ich mich bald mitten in der Dorfgemeinschaft wieder, die gekommen war, um Abschied zu nehmen. Die größte Moschee des Dorfes war der zentrale Treffpunkt. Männer und Frauen versammelten sich getrennt: Männer beteten in der Moschee, während die Frauen draußen zusammenkamen. Dort hörte ich ihre Gesänge und leisen Gebete. Anfangs war mir die Trennung ungewohnt, doch mit der Zeit erkannte ich ihre Bedeutung als Teil der islamischen Tradition. Der Glaube der Trauernden war in jedem Moment spürbar. Der Leichnam wurde auf einer Trage zur Moschee gebracht, in ein schlichtes weißes Tuch gehüllt, ohne Sarg oder Kleidung. Sechs Männer, vermutlich enge Angehörige oder Freunde, trugen ihn mit Würde und Ernsthaftigkeit. Gemeinsam mit den anderen Männern beteten sie das Totengebet, das Salat al-Janazah. Besonders bewegend war der Moment, als der Imam betete und die Männer geschlossen mit „Amin“ (So sei es; es ist wahr.) antworteten. Der Gang zum nahegelegenen Ort des Begräbnisses folgte nach dem Gebet. Der Leichnam wurde ohne Sarg und nackt in das vorbereitete Grab gelegt, während die Männer im Kreis um das Grab standen und der Imam erneut betete. Ein alter Koranlehrer aus dem Dorf, Hassan, sagte mir später leise und mit fester Stimme:

„Sisi sote tutarudi ardhini. Tunazaliwa tukiwa uchi, tunarudi bila chochote. Hiyo ndiyo njia ya haki.“ – „Wir alle kehren zur Erde zurück. Wir werden nackt geboren, und wir gehen nackt zurück. Das ist der gerechte Weg.“

Es war ein schlichter, aber kraftvoller Moment. Danach trennten sich alle in Stille. Es gab keine ausgedehnten Aufenthalte, keine Reden, keine laute Trauer. Dennoch war der Abschied intensiv. Ich erlebte, wie stark die Gemeinschaft auf Sansibar in solchen Momenten zusammensteht. Einige Tage später, während ich mit meiner Nachbarin Nasra Chapati machte und wir über dies und das redeten, kamen wir noch einmal auf das Begräbnis zu sprechen. Sie erklärte mir, dass man die Trauer bewusst stillhalte, um dem Verstorbenen Frieden zu wünschen und nicht den Schmerz zu betonen, der Glaube verlange nicht lautstarke Klagen, sondern subira (Geduld) und Gebet. Es ging nicht um große Gesten, sondern um das gemeinsame Gebet, das Teilen des Schmerzes, den Respekt vor dem Verstorbenen und den Glauben an die Kontinuität nach dem Tod. Die Menschen hier betrachten den Tod nicht als etwas Fremdes oder Schreckliches, sondern als Teil des Lebens. Diese Perspektive hat mir geholfen, meine Einstellung zum Sterben zu überdenken.

Die Perspektive eines Freiwilligen aus Dodoma:

Auch ich habe schon eine Beerdigung während meines Jahres in Tansania erlebt. Als ich an einem Freitagnachmittag von der Arbeit mit dem Fahrrad nach Hause gefahren bin, habe ich in meiner Straße gesehen wie ein paar Männer ein großes Zelt aufgebaut haben. Zunächst dachte ich, dass dort ein Geburtstag oder ähnliches gefeiert wird, da auch große Musikboxen aufgestellt wurden. Zuhause erfuhr ich allerdings von meiner Gastmutter, dass eine Nachbarin von uns gestorben ist. Ich kannte diese Frau, da ich sie manchmal gegrüßt habe, wenn ich an ihrem Haus vorbeigelaufen bin. Da sie schwanger war, ist die Frau mit ihrem Kind verstorben. Müttersterblichkeit ist leider in Tansania kein Randphänomen. Die Zahl der Mütter, die während der Schwangerschaft sterben liegt in Tansania bei 238 pro 100.000 Schwangerschaften. In Deutschland liegt die Zahl der verstorbenen Mütter bei 4 pro 100.000 Schwangerschaften. Am Abend bin ich gemeinsam mit meiner Gastmutter zu der Trauerveranstaltung (Msibani-Ort der Beerdigung) gegangen. Es kamen sehr viele Menschen zusammen, welche gemeinsam getrauert, geweint aber auch gebetet haben. Die Frauengruppe, welcher die Verstorbene angehört hat, hat für alle Trauernden gekocht. Frauengruppen sind in Tansania weit verbreitet, da sich die Frauen zusammenschließen und sich somit etwas sozial absichern können. Häufig zahlt jede Frau monatlich Geld ein und in Notsituationen der Frauen kann sich dieses Geld geliehen werden. Es gab an jedem der drei Trauertage bis zur Beerdigung Frühstück, Mittag- und Abendessen, welches die Frauen gekocht haben. An diesem Tag wurde auch nach Spenden für die Finanzierung der Beerdigung gebeten. Für viele Frauen, aber auch für manche Männer ist es normal, dass sie zwischen den Tagen vom Tod einer Person bis zur Beerdigung auf der Msibani schlafen. Manche Menschen verbringen alle Tage dort, einige sind nur tagsüber dort und essen und schlafen zuhause, andere kommen jedoch auch nur zum Tag der Beerdigung. In den darauffolgenden Tagen wurde es von Stunde zu Stunde und Tag zu Tag etwas fröhlicher. Die Menschen haben gemeinsam gesungen, sich Geschichten erzählt und gelacht. Ein Freund von mir erklärte mir:

„In Tansania halten die Menschen nach dem Tod zusammen, um sich gegenseitig zu stärken.“

Der Tag der Beerdigung war ein Montag. Als ich aufgewacht bin, habe ich schon lauten Gesang von draußen gehört. An diesem Morgen wurde auch der Sarg zur Msibani gebracht. Zunächst kam morgens ein Pfarrer, welcher gepredigt und gebetet hat. An diesem Morgen waren Frauen und Männer getrennt. Die Frauen saßen auf einer Seite und die Männer saßen und standen zum Teil auf der anderen Seite. Nachdem gebetet wurde, gab es wieder für alle Essen. Danach durften sich als erstes alle Frauen und dann alle Männer von der Verstorbenen verabschieden und den Angehörigen ihr Beileid aussprechen. Von dort ging es für alle in die Kirche, wo noch ein Gottesdienst für die Verstorbene gehalten wurde. Am Nachmittag kam es dann zur Beerdigung. Der Sarg wurde, während alle sangen, in das Grab gelassen. Die Männer, mit denen ich häufig meine Freizeit verbringe, kamen mit Schaufeln und schüppten das Grab mit Erde zu. Dies war ein nochmal ein sehr emotionaler Moment für alle. Danach löste sich die Veranstaltung langsam auf. Die Familie der Verstorbenen blieb noch einige Tage zusammen in Dodoma bis jeder von ihnen wieder in ihren Alltag und ihr Zuhause zurückkehrte.

Bevor wir als Freiwillige nach Tansania kamen, war der Tod für uns ein Thema, dem man lieber aus dem Weg geht. In unserer westlichen Gesellschaft ist Sterben oft etwas, das hinter verschlossenen Türen passiert – still, isoliert. Doch hier, in Tansania, habe wir zwei Beerdigungen miterlebt – eine auf Sansibar und eine in Dodoma – die unsere Sichtweisen verändert haben. Allerdings müssen wir dazu sagen, dass dies nur zwei Beispiele sind und sich die Beerdigungen auf Sansibar selbst und auch in Dodoma selbst unterscheiden können. Es gibt nämlich nicht die eine Beerdigung, sondern jede Verabschiedung wird je nach Familie, Glaube aber auch nach finanziellen Mitteln unterschiedlich gestaltet.

Was uns am meisten beeindruckt hat, ist, wie selbstverständlich hier mit dem Tod umgegangen wird. Er ist kein Fremdkörper, sondern Teil des Lebens – und das spiegelt sich in den Ritualen wider. Auf Sansibar erlebte ich eine muslimische Beerdigung voller Würde und Einfachheit. Die Stille, das kollektive Gebet und die Rückbesinnung auf das Wesentliche – das Leben, der Glaube, die Gemeinschaft – waren tief berührend. In Dodoma wiederum war es eine christlich geprägte Beisetzung. Hier wurde offen geweint, gekocht, gelacht und gemeinsam getrauert – über mehrere Tage hinweg. Es war eine Form von Trauer, die nicht nur Schmerz, sondern auch Trost in der Gemeinschaft suchte. Die Menschen blieben zusammen, sangen, beteten und stärkten sich gegenseitig. Beide Erfahrungen haben uns gezeigt, wie viel Kraft in Ritualen, in Zusammenhalt und in Spiritualität steckt. Es ging nie um große Gesten oder äußeren Prunk, sondern um das gemeinsame Aushalten, das Erinnern und das Loslassen. Am Ende haben wir nicht nur etwas über den Tod gelernt – sondern vor allem über das Leben. Und darüber, wie wir ihm mit mehr Akzeptanz, Nähe und Menschlichkeit begegnen können.


vgl. https://www.malteser-international.org/de/themen/so-helfen-wir/gesundheit/muettersterblichkeit.html, Müttersterblichkeit und Säuglingssterblichkeit: noch immer ein globales Problem, aus dem Internet entnommen am 12.06.2025