Mining Industry in Tanzania
Goldabbau als Hoffnungsträger und Risiko zugleich: In Tansania arbeiten über eineinhalb Millionen Menschen im Kleinbergbau – meist informell, oft unter prekären Bedingungen. Besonders in der Region Geita zieht das Versprechen vom schnellen Geld junge Männer in improvisierte Minen, wo ohne Ausbildung, Schutzkleidung oder staatliche Kontrolle gearbeitet wird. Der Text begleitet unseren Freund und den ehemaligen Motorradfahrer Stanford in den Goldschacht und bietet Einblick in den Sektors: Zwischen Selbstorganisation in lokalen Kooperativen, hochgiftigem Quecksilbereinsatz und wirtschaftlicher Not wird deutlich, warum der informelle Bergbau trotz aller Risiken für viele als bessere Alternative erscheint.

Mining Industry in Tanzania
9,2 und 5,8 Kilogramm – so viel wogen die seltenen Tansanite-Edelsteine, die der Bergbauer Saniniu Laizer 2020 in seiner Mine in Manyara gefunden hatte und die ihn über Nacht zum Millionär machten. Der spektakuläre Fund ging durch alle Medien, und selbst der damalige Präsident John Magufuli gratulierte dem Small Scale Miner, der – wie viele andere Tansanier:innen – ohne Ausbildung oder schweres Gerät sein Glück suchte, indem er eine kleine Mine eröffnete, um am Reichtum der Bodenschätze seines Landes teilzuhaben [1].
Es sind spektakuläre Geschichten wie diese, die weiterhin Tausende in den Norden Tansanias ziehen. Besonders die Region um den Victoriasee gilt als vielversprechend - Gold, Diamanten, Tansanite und die Hoffnung auf schnelles Geld gibt es hier zu finden. So ist auch unser Freund Stanford, den wir als Boda-Boda (Motorradtaxi-)Fahrer in Dodoma kennenlernten, Anfang Februar aufgebrochen in ein kleines Dorf in der Nähe Mwanzas, um in der Mine seines Schwagers nach Gold zu suchen. Schon nach wenigen Tagen sahen wir in seiner WhatsApp Story die ersten Goldkörner, die er aus der roten Erde siebte. Sie haben tatsächlich was gefunden. Stanfords Bilder und Erzählungen in Telefonaten klangen euphorisch und machten uns neugierig. Wir wollten wissen, wie die Small Scale Mining Industrie in Tanzania funktioniert und ob es wirklich so schnell gehen kann mit dem vielen Geld?
Um das besser zu verstehen, sind wir schließlich selber in die Nähe Geitas gefahren, das Zentrum des Goldabbaus, und haben ein paar Tage mit Stanford verbracht. Die Anreise aus Dodoma war lang: Zuerst ging es in die 600km entfernte Hafenstadt Mwanza am Lake Victoria, dann in einem Dala-Dala (Kleinbus) weiter nach Geita. Hier endete die asphaltierte Straße und wir mussten die letzte Etappe auf einem Boda Boda zurücklegen. Die holprige Fahrt über den unbefestigten Boden ins Dorf dauerte knapp eine Stunde. Bereits unterwegs zeigte sich, wie wichtig der Bergbau für die Region ist: Am Straßenrand waren Schilder von Goldhandelsfirmen zu sehen, Berge aus Geröll und Sand sowie provisorische Verkaufsstände für Werkzeuge. Große internationale Konzerne wie AngloGold aus Südafrika betreiben hier die größte Goldmine, die mit 36 % mehr als ein Drittel der gesamten Goldförderung Tansanias ausmacht [2] . Auf der anderen Seite ist die Region aber auch bei Kleinbergleuten beliebt: Fast 300.000 Small Scale Miner hat es inzwischen zur Goldsuche nach Geita gezogen [3]. Landesweit, so schätzt das International Institute for Environment and Development (IIED), sind es sogar über 1.5 Millionen Menschen, die direkt im Kleinbergbau tätig sind, mit 9 Millionen weiteren, die indirekt vom Sektor leben [4]. Das sind gewaltige Zahlen - In einem Land mit rund 70 Millionen Einwohner:innen ist das jeder Siebte [5] . Es ist ein Wirtschaftsmotor - der sich der Kontrolle des Staates weitgehend entzieht.
Stanford empfängt uns im Dorf Katoro, dessen Bevölkerung sich innerhalb eines Jahrzehnts versechsfacht hat. Das hier alles vom Bergbau abhängt, sehen wir schnell. Bereits am Nachmittag sind die kleinen Bars entlang der Straße gut besucht. Vor allem junge Männer in Gummistiefeln und Arbeitskleidung sitzen dort, trinken mbege – ein selbstgebrautes Hirsebier – und rauchen Zigaretten oder Joints. Die Arbeitsschichten in den Minen sind lang und anstrengend, erklärt uns Stanford später:
“Wir arbeiten hier jeden Tag rund um die Uhr - im Schichtsystem. Ich selbst arbeite 12 Stunden pro Tag. Danach übernimmt die andere Schicht. Manche arbeiten von morgens bis nachmittags, die anderen dann von abends bis zum nächsten Morgen.”[8]
Bis zu seiner nächsten Schicht ist es noch eine Weile hin und wir können die Mine besuchen. Dort läuft schon Vollbetrieb. Der ursprüngliche Schacht ist mittlerweile überflutet, nun wird mit Eile an einem neuen gearbeitet. Rund fünf Meter haben sich die Männer bereits in die Tiefe vorgearbeitet, bis zu 30 Meter sollen es werden. Schutzkleidung, Helme oder Sicherungsseile gibt es nicht – die Arbeiter sind barfuß im Schacht. Trotzdem ist die Stimmung ausgelassen, uns wird gesagt, man habe mit dem alten Schacht ein vielversprechendes Goldvorkommen gefunden.
„Wir arbeiten hier in einer Art Kooperative, einer Arbeitsgruppe – auf Swahili nennt man das "Chama“, erklärt uns Stanford, während wir den Arbeiten im Schacht zuschauen. Innerhalb dieses Verbunds sind die Aufgaben klar verteilt: Es gibt die Investoren (Wawekezaji), die Arbeiter (Watenda kazi) und die Techniker sowie Handwerker (Fundi), die sich um die Wartung und Reparatur der Maschinen kümmern."
Stanford gehört zu den Arbeitern, die in kleinen Teams von drei oder vier Personen zusammenarbeiten – meist zwei oben, zwei unten im Schacht [8]. Die Bergleute im Stollen graben mit Stirnlampen und Spitzhacken immer weiter in die Erde vor, während die Kollegen oben die Arbeit koordinieren und organisieren. Sie sorgen dafür, dass alle benötigten Materialien, wie etwa Öl für die Maschinen, rechtzeitig bereitstehen und bedienen die Seilwinde, mit der die Säcke voller Erde – und hoffentlich Gold – nach oben gezogen werden. Wer selber in den Schacht absteigen will, muss über die schlammig-nassen Holzstämme, welche zur Stabilisation der Mine dienen, klettern. Eine Ausbildung hat hier niemand bekommen und auch Sicherheitsstandards scheinen eher eine Frage des Geldbeutels zu sein:
"Wir haben gelernt, worauf man achten muss", sagt Stanford. "Nicht in der Schule – sondern von den Älteren."
Tatsächlich ist der Bergbau in Katoro ein Generationenprojekt. Schon der Vater von Stanfords Schwager hat hier nach Gold gegraben und schon als Kind ist dieser häufig dabei gewesen, hätte zugeschaut, mitgeholfen und so gelernt.” [8]
Besonders brisant zeigt sich der Mangel an finanziellen Mitteln aber bei der Weiterverarbeitung des Goldes. Um die feinen Goldkörner aus der Erde zu extrahieren, wird häufig Quecksilber verwendet. Das funktioniert einfach, ist billig, legal und - hochgiftig. Viele der Männer mischten das Quecksilber der Erde mit bloßen Händen bei, ohne jegliche Schutzausrüstung. Später wird diese Mischung dann erhitzt, um das Quecksilber zu verdampfen und reines Gold zurückzulassen. Die freigesetzten Dämpfe, die Arbeiter:innen meist ohne jede Schutzmaßnahme einatmen, gelten als hochtoxisch. Dass sie das zentrale Nervensystem, die Atemwege und innere Organe angreifen, ist ihnen weitgehend bekannt – doch Alternativen fehlen oft, weil sie entweder unbezahlbar oder schlicht nicht zugänglich sind [3] [4] . Und doch: Für viele wie Stanford bleibt der Bergbau die beste aller schlechten Optionen. Offizielle Jobs sind selten, besonders für junge Männer. Mit wohl 20.000 bis 60.000 tansanischen Schilling Tageslohn liegt das Einkommen deutlich über dem Landesdurchschnitt [6]. Wenn sie es schaffen, ihren Schacht wieder bis zum Goldvorkommen zu graben, ist ihre Beteiligung sogar noch höher, wie Stanford erzählt: “Je nachdem, wie viel Gold dann gefunden wurde, werden wir prozentual an den Erträgen beteiligt – je nach Rolle und investiertem Kapital” [8] Dabei war der Sektor lange Zeit kaum reguliert. In den 1990er-Jahren trieben Weltbank und IWF weitreichende Reformen voran, die den Bergbau liberalisierten und vor allem für multinationale Konzerne öffneten – oft auf Kosten lokaler Akteure. Der großflächige Aufkauf von Schürfgebieten durch internationale Unternehmen führte vielerorts zu Spannungen: Kleinbergleute und industrielle Minengesellschaften konkurrieren seither um Land und Ressourcen. Häufig wurde Land, das über Jahre informell von Kleinschürfern genutzt worden war, plötzlich neu vergeben – teils ohne Absprache oder Kompensation. In mehreren Regionen kam es dadurch zu Protesten, gelegentlich auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Erst das Mining Act von 2010, hervorgegangen aus früheren Reformversuchen, brachte einen formalen Rahmen. Mehrere Gebiete wurden speziell für Primary Mining Licences (PMLs), die Lizenzen für den Kleinbergbau, zugewiesen, und spekulativ gehortete Konzernlizenzen konnten nun eingezogen und neu vergeben werden [7] . Die Idee: Mehr Land für Kleinbergleute, mehr Einnahmen für den Staat und bessere Bedingungen für die Arbeiter:innen. Gleichzeitig wurde der Zugang zu Lizenzen für lokale Akteure vereinfacht – was die Zahl registrierter Kleinschürfer steigen ließ. In manchen Gegenden, wie etwa rund um Geita oder Katoro, entwickelte sich daraus eine neue wirtschaftliche Dynamik, die ländliche Abwanderung entgegen des Trends verlangsamte [4] . Staatliche Präsenz sehen wir vor Ort aber wenig. Von Sicherheitskontrollen oder Schulungen hat noch niemand gehört. Viele arbeiten weiterhin improvisiert und unter hohem Risiko – sowohl für ihre Gesundheit als auch für die Umwelt. Zugespitzt zeigt sich das in verlassenen Tagebauen. Hier graben meist Frauen, Ältere oder Kinder ohne Genehmigung oder Schutzvorkehrungen in den Erdwänden nach verwertbaren Steinen, die sie dann auf den Märkten verkaufen. Die Arbeit ist hochriskant durch die ungesicherten und einsturzgefährdeten Stollen und der Ertrag bleibt in der Regel so gering, dass er lediglich für den täglichen Lebensunterhalt reicht. Als wir Katoro verlassen, haben wir gemischte Gefühle. Für viele ist der Kleinbergbau existenziell. Doch das Versprechen des Aufstiegs und des schnellen Geldes hat auch seine Schattenseiten – durch Ausbeutung, Unfälle und weiterhin fehlende Regulierung. Die Regierung sieht den Sektor gerne als “Chance für Entwicklung”. Was fehlt, ist aber nicht nur staatliche Kontrolle, sondern echte Perspektiven für die Jugend Tansanias – jenseits des Goldes! Stanford will trotzdem bleiben. Ihn motivieren die Menschen hier und ihm gefällt die Arbeitsweise der Bergarbeiter:innen. Das Geld kann er natürlich auch gut gebrauchen, nicht nur für Essen, sondern auch für alltägliches, die Familie und was sonst noch anfällt.
Hauptquellen:
- [1] BBC News. (2020). Tanzanian miner becomes overnight millionaire with huge gem find. BBC News. (Veröffentlicht am 24.06.2020)
- [2] AngloGold Ashanti. (2024). Geita – Operational Profile 2023. (Abgerufen am 23. April 2025)
- [3] Letea, Halili. (2022). Using mercury in small-scale mining stays a major threat. The Citizen (Nation.Africa). (Veröffentlicht am 14.11.2022)
- [4] Mutagwaba, Willison, Tindyebwa, John Bosco, Makanta, Veronica, Kaballega, Delphinus und Maeda, Graham. (2018). Artisanal and small-scale mining in Tanzania – Evidence to inform an ‘action dialogue’. Research report, IIED (International Institute for Environment and Development), London.
- [5] Central Intelligence Agency. (2025). Tanzania. The World Factbook. (Abgerufen am 11. April 2025)
- [6] World Bank. (2025). Tanzania Overview. (Abgerufen am 23. April 2025)
- [7] The Citizen. (2017, 13. Mai). Formalising artisanal and small miners in Tanzania. (Abgerufen am 23. April 2025)
- [8] Grill, Franz; Mahnken, Finn. (2025, April). Interview mit Stanford in Katoro, Tansania. (Unveröffentlichte Primärquelle)