Hey Mister, let's go!

Über das „Angesprochen-Werden“ als Weißer im tansanischen Alltag

Symbolbild Symbolbild Auch wenn man vielleicht von innen ähnlich ist, kann man sich durch ganz oberflächliche Eigenschafen unterscheiden. [Foto von Arbeit und Leben Hamburg, https://hamburg.arbeitundleben.de/img/fotos/F_162524874_54.jpg]

Wer schon mal als Weißer irgendwo in Tansania oder im restlichen Swahili-Raum spazieren war, kann sicherlich etwas mit dem Wort Mzungu anfangen. Wortwörtlich übersetzt heißt es in etwa so viel wie Herumirrender oder Herumwandelnder, doch eigentlich wird es benutzt, um englischsprechende Weiße – vornehmlich Europäer oder Nordamerikaner – zu bezeichnen. Sollte man nämlich als eine der zuvor genannten Personen hier unterwegs gewesen sein, wird man sicherlich mal dieses Wort hinterhergerufen bekommen haben. Jetzt ist es aber für den westeuropäischen Otto-Normalverbraucher immer noch nicht einleuchtend, dass man auf der Straße „Europäer!“ hinterhergerufen bekommt, schließlich ruft man in Europa auch nicht jedem Schwarzen „Afrikaner!“ hinterher, jedoch ist da die tansanische Kultur in diesem Aspekt etwas unterschiedlich. Im Alltag ruft man einfach jeden, von dem man etwas möchte, mit dem, was ihn am meisten auszeichnet, zum Beispiel den Handwerker Fundi und den älteren Herren Mzee (Alter). Außerdem fängt man viel häufiger auf der Straße Gespräche mit Fremden an, ob es im Bus, in der Warteschlange am Lädchen oder eben irgendwo auf der Straße beim Spazieren ist. Und da man als Mzungu eben auffälliger ist und vielleicht auch interessanter als andere, wird man eben öfter angesprochen. Man könnte jetzt meinen: „Das ist ja rassistisch!“ und gewissermaßen ist es das auch, jedoch muss man auch verstehen, dass es meistens nicht mit einer bösen Absicht geschieht, sondern die meisten einfach nur interessiert sind. Man gelangt so auch in viele einzigartige Konversationen und trifft nette und spannende Leute, doch muss man dafür auch wirklich offen unterwegs sein.

Habe ich zum Beispiel gute Laune, kann ich für den Weg nach Hause fünfmal so lange brauchen, wie gewöhnlich, doch erwischt mich jemand, der mich anspricht, auf dem falschen Fuß und der Tag war sowieso schon blöd, kann ich leider ziemlich abweisend reagieren und die Aktion vermiest mir den Tag noch weiter. Vor allem, wenn mich nicht Leute ansprechen, die sich unterhalten möchten, sondern ich zum Beispiel an fünf Motorradtaxi-Fahrern hintereinander vorbeigehe, die denken: „Ach der Mzungu hat bestimmt Geld, dem probiere ich mal eine Fahrt aufzuschwatzen.“ und die mich dann jeder nacheinander mit dem typischen „Hoya, Mzungu!“ oder einem neckischen „Hello Mister, let’s go!“ auf sich aufmerksam machen, kann mich das echt zur Weißglut bringen. Ähnlich oft wird man von Taxifahrern, Essensverkäufern und anderen Leuten, die etwas loswerden wollen, angesprochen. Ich finde es irgendwie frustrierend, dass ich mich zwar auf Kiswahili verständigen kann und in einem (vielleicht etwas gehobeneren) tansanischen Haushalt ein tansanisches Leben führe, aber trotzdem immer noch auf der Straße als der Andere auffalle und ich nur wegen meiner Hautfarbe als my friend oder Rafiki (Freund) angesprochen werde, obwohl man mich nicht mal kennt. Auf der anderen Seite ist es so aber auch viel einfacher interessante Bekanntschaften zu machen und würde ich nicht so angesprochen werden, hätte ich sehr viel weniger bis vielleicht sogar gar keine Freunde hier. Es kann eben auch zu super interessanten Begegnungen kommen und ich muss sagen, dass ich meine Andersartigkeit als Europäer auch an manchen Tagen genieße, da sie mir Türen öffnet, die vielen Tansaniern vielleicht verschlossen bleiben würden. Beispielsweise wird einem fast immer Hilfe angeboten, wenn man den Eindruck macht, man hätte sich verirrt, und es wird einem eindeutig mehr durchgelassen, als einem Einheimischen.

Es ist also immer eine ambivalente Situation und ich muss oft aktiv darauf achten, die Vorteile, die mir als Mzungu zugutekommen, nicht absichtlich auszunutzen. Zum Beispiel wird mir manchmal angeboten, mich in der Schlange am Lädchen weiter nach vorne zu stellen und ich habe tatsächlich mehr Geld, als die meisten Tansanier, was mir ein sehr viel einfacheres Leben ermöglichen kann. Es kann aber auch wirklich entmutigend sein, wenn die Mehrzahl einem unterstellt, Geld zu haben gepaart mit der Bereitschaft, dieses auch einfach zu verpulvern und kein Swahili zu können: So wie viele andere Weiße, die in einer Parallelgesellschaft leben hinter hohen Mauern und sich ein Leben wie im Paradies mit tansanischem Personal leisten können, weil alles günstiger ist als im globalen Norden. Dieses Bild der Weißen spiegelt sich in meinen Augen auch in der Bedeutung des Wortes Mzungu wieder, welches einen ja gewisserweise als jemanden betitelt, der irgendwo herumirrt, wo er sich nicht auskennt und vielleicht auch nichts verloren hat. Kann man dann aber erklären, warum man dort ist und was man macht, bröckelt man ein wenig an der Mauer, die bisher noch den Globalen Norden von den "Entwicklungsändern" trennt.

Von daher bin ich auch sehr dankbar für meine Kiswahili Kenntnisse, auf die die dtp großen Wert legt und die ich, wäre ich mit einer anderen Organisation unterwegs, wahrscheinlich auch nicht hätte. Antwortet man nämlich auf so einen Mzungu-Zuruf vom Straßenrand nicht auf Englisch, sondern wechselt ein paar Sätze mit dem besagten in seiner Sprache, sind die meisten Leute super überrascht und man hat das Bild vom klassischen Mzungu etwas ins Wanken gebracht. Wenn ich dann noch klar machen kann, warum ich jetzt nicht 500 Shillingi (20 ct) verschenken möchte oder jemanden zum Bier einladen will, habe ich das Gefühl wirklichen Austausch zu betreiben. In diesen Situationen wird mir auch bewusst, was es überhaupt bedeutet, ein weltwärts-Jahr zur Völkerverständigung zu absolvieren.