Vater der Nation

Überall in Tansania prangt das Bild des ersten tansanischen Präsidenten Julius Nyerere. Was hat es mit der Verehrung des "Vaters der Nation" auf sich?

"Vater der Nation" Julius Nyerere "Vater der Nation" Julius Nyerere [Foto von Fotocollectie Anefo, Wikipedia Commens]

Während ich den Artikel schreibe, blicke ich auf ein Bild des Staatsgründers Julius Kambarage Nyerere. Auf Weisung der Regierung hängt nun sein Bild dort. Bevor die 8-Uhr Nachrichten beginnen kommen erstmal die „weisen Worte des Vater der Nation“. Jede öffentliche Institution und zahlreiche Läden haben sein Bild und das des amitierenden Präsidenten repräsentativ am Eingang hängen. Auch manche Daladas führen sein Bild mit. Die CCM, Tansanias Alleinherrschaftspartei vetraut bis heute auf ihren Gründer und präsentiert sich als „Nyereres Partei“.

Zwei Fragen stellen sich dem ausländischen Beobachter zuerst. Wie weit wird man in Tansania mit dem Personenkult noch gehen? Wird bald jeder nach nordkoreanischem Vorbild ein kleines Bild von ihm, immer frisch entstaubt, rechts auf der Brust tragen müssen? Und, die zweite noch wichtigere Frage, verdient der Mann das?

Bezüglich des ersten Punkts kann man Entwarnung geben. Starke Führer, die „Strong Men“, genießen große Verehrung in Tansania. Da ist es nicht überraschend, dass jemand wie Nyerere, der das Land ganze 21 Jahre lang mit nahezu uneingeschränkter Macht regierte, entscheidend die politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwiclung des Landes prägte, bis heute Verehrung genießt. Frauen sind bis heute in der tansanischen Politk unterrepräsentiert. Es sieht so aus, als würde es noch eine lange Zeit bis zur ersten Präsidentin dauern.

Die britischen Kolonialherren übergaben das Rumpf-Tansania, das damalige Tanganyika, ohne großes Federlesen an das Volk von Tanganyika, als erste afrikanische Kolonie, die in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Im Jahre 1960 wurdendie ersten allegmeinen Wahlen durchgeführt, in denen Nyereres Partei, die Tanganyika African National Union, 82% der Stimmen erhielt. Wie frei diese Wahlen waren ist heute schwer einzuschätzen.

Nyerer war nie ein Demokrat. Er war der Meinung Tansanias mehr als 200 Stämme, die sich meist mangels einer einheitlichen Sprache nicht untereinander verständigen konnten, und sich nicht selten spinnefeind waren, würden die Demokratie in einen Verteilungskampf entlang tribalistischen Grenzen verwandeln. Diese Heterogenität der Ethnien, aber auch religiösen Gruppierungen, ebenso wie Tansanias Rohstoffarmut, ließen die Briten in der Überzeugung zurück, Tanganyika sei wertlos für die Krone, weswegen man es früh in die Unabhängigkeit entließ.

Nyerere ließ kurz nach Machtübernahme alle anderen Parteien verbieten, aber nichtsdestotrotz weiterhin Wahlen durchführen. Danach erließ er den Preventive Detention Act, der die Inhafterung jedes Tansaniers ohne Gerichtsverfahren auf unbestimmte Zeit erlaubte. Er war hingegen ein überzeugter Sozialist und Katholik. Bevor seiner Tätigkeit, als Präsident (oder eher Diktator) war er Lehrer. Er bezeichnete sich selbst einmal als Lehrer aus Überzeugung und Präsident durch Zufall.

Er erließ ein Gesetz, das es Lehrern verbot ihre Schüler zu schlagen. Nur vor dem Schulleiter sollten tansansiche Schulkinder noch zittern müssen. Das Gesetz ist bis heute in Kraft, wird aber durchweg ignoriert. Die Prügelstrafe ist bis heute in der Gesellschaft weithin anerkannt. Speziell in den öffentlichen Schulen sind die Zustände grausig.

Der ehemalige Lehrer Nyerere baute innerhalb kurzer Zeit das vorher quasi nicht-existente Schulsystem auf, und reduzierte die Anzahl der Analphabeten massiv. Seine wohl wichtigste Zielsetzung war die Politik der „Swahilisierung“. Die Sprache Swahili, eine Bantu-Sprache mit entscheidenen Einflüssen aus dem Arabischen und zahlreichen englischen, portugiesischen und indischen Lehnworten, wurde damals nur von wenigen gesprochen. Um das tief zersplitterte Land zu einen, verordnete er Swahili als offizielle Landessprache neben Englisch und fortan wurde der Unterricht an allen tansanischen Schulen in Swahili durchgeführt. Auch wenn seine Regierungsnachfolger auf Englisch als Unterrichtssprache umgestiegen sind, spricht heute so gut wie jeder Tansanier Swahili. Es ist Quell eines nationalen Gemeinschaftsgefühls, ohne das die tansanische Republik nicht den Rückhalt in der Bevölkerung genießen würde, von dem es heute profitiert. In seiner Außenpolitik setzte er auf gute Beziehungen zu seinen Nachbarn. Trotz seiner dezidiert sozialistischen Ausrichtung verblieb er in der Gemeinschaft der Blockfreien Staaten. Dies war auch der Fall, weil er so auf mehr finanzielle Hilfe von den westlichen Staaten hoffen konnte. Er war dank seiner rhetorischen Fähigkeiten und seiner zumeist umsichtigen Politik ein Meister darin Entwicklungshilfegelder einzutreiben, ohne die Tansania nie überlebt hätte. Er schaffte auch den Spagat, freundliche Beziehungen zu den beiden Deutschen Staaten zu betreiben. Auf Sansibar zeugen Plattenbauten als persönliches Geschenk Walther Ulbrichts von den guten Beziehungen zur DDR.

Die BRD finanzierte seit der Unabhängigkeit gleich große Teile des Staatshaushaltes und ist bis heute neben der USA einer der wichtigsten Geldgeber Tansanias. Tansania führte in seiner gesamten Geschichte einen Krieg. Der Krieg gegen Idi Amins Uganda war während Nyereres Amtszeit dauerte wenige Tage und endete mit der Absetzung des brutalen Diktators. Nyereres Herrschaft war geprägt von relativer innerer Sicherheit, so kam es zum Beispiel zu, für afrikanische Verhältnisse, sehr wenigen Putschversuchen, die alle schnell niedergeschlagen wurden.

Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Stämmen und Religionsgemeinschaften harmonisierten sich zunehmends. So gibt es bis heute keine ernsthaften Sezessionsbewegungen und es konnten sich noch keine Terrorgruppen auf tansanischen Boden etablieren. All das erreichte er ohne großes Blutvergießen. So ließ er während seiner ganzen Regierungszeit ließ er nur 2 Gefangene hinrichten. Idi Amin hatte jeden Tag vor dem Frühstück diese Zahl übertroffen. Seine Wirtschaftspolitik hingegen lässt wenig Raum für Bewunderung. Im Stile Mao Zedongs ließ er die Landwirtschaft in Kommunen zusammenfassen. Das Land, welches vor Nyereres Regierungsantritt seine eigene Bevölkerung mit Leichtigkeit ernähren konnte und zudem Lebensmittel exportierte, erlebte dank der sozialistischen Landreform eine langanhaltende Hungersnot. Die Nahrungsmittelproduktion halbierte sich in manchen Regionen und bleibt bis heute schwach. Besonders katastrophal war diese Politk da Tansanias Wirtschaft bis heute, aber damals in besonderem Maße, von der Landwirtschaft dominiert wird. Bis heute gibt es keine starken Industriezweige und das Handwerk bleibt schwach und unterentwickelt.

Die Hungersnot und der Niedergang der Wirtschaft ließen seine ehemals guten Umfragewerte einbrechen. 1981 trat er zurück und entließ das Land offiziell in die Demokratie, nicht ohne vorher seinen Nachfolger ohne Volksbefragung zu bestimmen. Auch die folgenden Präsidenten fälschten manche der Wahlen. Der ehemals überzeugte Anti-Demokrat Nyerere unternahm aber auch nichts gegen den halbherzigen Versuch einer Demokratisierung. Während seine wirtschaftliche Politik größtenteil ein Desaster war, war er im Stande eines der ärmsten und zersplittertesten Staaten der Region zu einen und zu einer lokalen Macht heranzuziehen.

Wäre Nyerere aus westlicher Sicht ein eher ungewöhnliche Vorbild, so hat er doch die Bedingungen für eine Demokratie, innere Sicherheit, Identifikation mit der Nation und eine gemeinsame Sprache und Kultur, sowie ein gutes Bildungswesen geschaffen. Das heutige Tansania, das trotz all seiner Schwächen funktioniert, wäre ohne Nyerere nicht denkbar.