Was darf man denn überhaupt noch sagen?

"Lehmhütten", "exotisch", "ursprünglich",... Die Liste der Alarmwörter ist lang. Wenn diese in einem Text über Afrika auftauchen, dann ist Vorsicht geboten. Die Diskussion über politisch korrekte Berichterstattung trifft uns immer wieder. Das Thema ist heikel. Es geht um Falschinformationen, Voreingenommenheit und Gefühlsverletzungen. Das macht Schilderungen aus afrikanischen Ländern (besonders Tansania mit deutsch-kolonialer Vergangenheit) zu einer Aufgabe die Sensibilität erfordert. Wie ist es aus Tansania zu berichten? Was geht einem dabei durch den Kopf? Wie geht man mit den schwierigen Hintergründen um? Zwei Freiwillige erzählen, worauf sie beim Schreiben aus Tansania achten möchten.

Skyline Dar Es Salaam Skyline Dar Es Salaam Blick über Dar Es Salaam [Foto von Jonathan Wagner, Foto von Jonathan Wagner]

Weltwärts ist also ein entwicklungspolitischer Freiwilligendienst. Das sagt erstmal eigentlich gar nichts darüber aus, was ich hier mache und für wen es gut ist.

Was man als Entwicklungshilfe bezeichnen will, sehen viele sehr unterschiedlich. Angesichts des Ausmaßes in dem die Welt verflochten ist, scheint es auch wenig erstaunlich, dass es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, wie man all die verschiedenen Beziehungen benennen soll. Vor Allem aber ist umstritten, ob „Entwicklung“ und „Hilfe“ überhaupt das sind, was manche geben können und andere haben wollen.

Andere Titel sind bildungspolitischer Freiwilligendienst oder interkultureller Lerndienst. Das gefällt mir beides eigentlich ganz gut. Denn auch wenn andere im weltwärts Jahr sicher noch mehr und sinnvoller arbeiten als ich, sind fast alle Laie/Laiin in ihrer Arbeit. Mit dem Geld, das mein weltwärts Jahr kostet (drei viertel sind Steuergeld) könnte man, wenn es um die Arbeit ginge, besser eine einheimische Person bezahlen. Das Prägende für die Tätigkeit der mit weltwärts Ausreisenden ist aber, dass wir interkulturelle Bildung erfahren und in unseren Gastgeberländern hinterlassen.

Das Ziel sollte sein, da wir Besuchende sind, selbst über Kulturen zu reflektieren – die Neue und die Eigenen. Ich möchte, dass sich das auch in meiner Kommunikation zeigt, die von meinem Jahr in Tansania handelt!

Was ich hier sehe und erlebe spiegelt nicht die ganze Wirklichkeit Tansanias wieder. Ich kenne ja nach neunzehn Jahren noch nicht mal die ganze Geschichte über meine Heimatstadt Leipzig. Und auch meine Oma kennt nach über siebzig Jahren im Ruhrgebiet nicht Ostdeutschland. Um Tansania zu kennen bräuchte ich viel länger als ein Jahr an einem Ort. Länger als ein Menschenleben müsste ich versuchen alle Facetten des Landes und der Gesellschaft zu finden. Ich habe also nichts Repräsentatives über Tansania zu sagen.

Wenn ich Allen, die es wissen wollen, über Tansania erzähle, dann könnten ihre Ansichten über das Land trotzdem etwas fundierter werden. Aber wenn ich ihnen von einzelnen Vorfällen erzähle ohne diese objektiv korrekt einzuordnen werden sie diese trotzdem als den tansanischen Standard wahrnehmen. Denn sie haben keinen Vergleich. Und ich weiß ja selber auch nicht ob meine Einordnung objektiv ist. Ich könnte ja etwas für ganz normal in Tansania halten, obwohl es eine Ausnahme ist. Aus Zufall, oder weil ich nicht gut aufgepasst habe.

Auch unvollständiges Wissen kann einem aber den Anstoß geben, sich mehr mit einer Sache zu beschäftigen. Das ist wichtig, denn viele Entscheidungen, die sich auf andere Weltteile auswirken, treffen wir in Deutschland nur, indem wir gar nicht über die Alternativen nachdenken.

Nächstes mal wenn ich mich mit einem_r Freund_in über Tansania unterhalten will, dann erzähle ich ich ihm_ihr eine kleine Erfahrung, die ich hier erlebt habe. Damit ist ein Interesse gesät, dass beginnen wird zu keimen. Die Richtung, in die es wächst, will ich dadurch beeinflussen, dass ich die Erfahrung erkläre und einordne. Damit die Entscheidungen, die meine Freunde und Freundinnen auf dem neuen Interesse basierend trifft, reife Früchte tragen, will ich ihnen noch etwas mitgeben. Das sind Denkweisen, Methoden, die ich aus meinen Erfahrungen angeleitet habe.

Ich kann erzählen, wie es ist, eine neue Kultur kennen zu lernen. Wie es ist, wenn einem aufgeht, dass man nicht genug über seine Umgebung weiß und deshalb nichts beurteilen kann. Oder wie es ist, zu sehen, wie wenig Wirklichkeit, Pläne und Nachrichten manchmal zueinander passen. Und was man daraus ableiten kann.

Solche Erkenntnisse möchte ich am liebsten teilen, weil sie mir langlebig erscheinen und ich nicht für Ansichten, sondern für Sichtweisen verantwortlich werde.

Wissenschaftlich erarbeitete Informationen können meine Freund_innen besser anderweitig erhalten. Aber die Methoden, mit denen man diese für sich verarbeitet, von einem Menschen aus ihrem Umfeld zu erfahren, mit dem sie sich auseinandersetzen können, ist meine Aufgabe und bringt einen einzigartigen Wert.

Was sollte ich von meinen Erinnerungen aus Tansania öffentlich preisgeben? Was kommt bei den Lesenden in Deutschland an, die selber nie in Tansania waren? Obwohl es noch über 6 Monate dauern wird, bis ich nach Deutschland zurückkehre, mache ich mir jetzt schon Gedanken über die Gespräche mit Bekannten und Familie, die mich bei meiner Rückkehr erwarten. Welche Fragen werden gestellt? Auf welche Vorurteile stoße ich? Und mit diesen Fragen kommt meine Verantwortung, Erfahrungen auf bedachte Weise zu teilen, besonders vor unbekanntem Publikum. Dafür wurden wir auf unseren Begleitseminaren sensibilisiert.

Nun da ich länger hier bin, versuche ich mich zu erinnern, wie meine Perspektive auf Tansania vor meiner Abreise aussah. Und dadurch herauszufinden, ob mich bestimmte Vorurteile besonders geprägt haben. Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Mich haben schon so viele neue Eindrücke getroffen, dass ich kaum auseinanderhalten kann, was mich überrascht hat und was ich schon in Deutschland wusste. Ich hätte in Deutschland eine Liste mit Erwartungen an Tansania entwerfen müssen, die ich hier abhaken könnte. Wahrscheinlich habe ich auch gar nicht viel erwartet, sondern bin, wie ein leeres Buch, angekommen, dass noch beschrieben werden muss und sich erst ein Bild von Tansania formt.

Wie sieht dieses Buch von Familie und Bekannten in Deutschland aus? Ist es leer, oder bereits gefüllt mit eigenen Erfahrungen? Ich beschäftige mich erst seit wenigen Jahren ernsthaft mit internationalen Geschehnissen, während Eltern, Onkel und Tanten bereits seit Jahrzehnten von Medienberichten und anderen Erfahrungen im Zusammenhang mit Ostafrika beeinflusst werden. Gut möglich, dass ihr Buch bereits gefüllt ist. Ich kann mich erinnern, in meinem Bekanntenkreis auf sehr unterschiedliche Blickwinkel getroffen zu sein.

Was denken Menschen in Deutschland über das Leben in Tansania? Welche Vorurteile haben sie? Haben sie ein falsches Bild? Was hat ihre Vorstellung geprägt? Welches Bild ist überhaupt das Richtige? Gleichzeitig durchlebe ich selbst viele verschiedene, sich widersprechende Situationen und Gefühle in Tansania. Hier frustriert mich eine Person oder Verhaltensweise und löst Irritation aus, dort heitert mich eine tansanische Gewohnheit auf, die ich am liebsten direkt in Deutschland einführen würde. Deshalb möchte ich beim Schreiben über Tansania eine günstige Balance finden zwischen eigenen Erfahrungen und Emotionen und dem mehr oder weniger gefüllten Buch meines Publikums in Deutschland.

Das ist keine leichte Aufgabe. Ich finde mich oft dabei wieder, vor einem Text zu sitzen und jede Formulierung doppelt und dreifach zu überdenken. Das kostet Zeit und Nerven, aber der Aufwand lohnt sich. Die Lesenden in Deutschand sollen einen weitblickenden und überlegten Bericht erhalten.