Was heißt eigentlich „Mbukwenyi?“ - Ethnien Tansanias und ihre Sprachen

Tansania zeichnet sich nicht nur durch seine Einheit, sondern auch durch seine Vielfalt aus. Ein großer Teil dieser Vielfalt findet sich in den zahlreichen Volksgruppen des Landes, die alle eigene Sprachen und Kulturen mitbringen. In diesem Artikel haben wir uns etwas mit den Ethnien Tansanias und ihren Sprachen befasst, mit Angehörigen einzelner Gruppen gesprochen und berichten von unseren persönlichen Erfahrungen mit lokalen Sprachen, insbesondere in Dodoma.

Im Arusha Nationalpark Im Arusha Nationalpark Blick auf den Park während der Besteigung des angrenzenden Mount Meru [Foto von Ida Berentzen, Der Veröffentlichung des Bildes wurde von der Fotografin zugestimmt.]

Mbukwenyi?“ „Za pamilau?“ „Waongeramo?“, „Habari ya asubuhi?“ Das alles bedeutet wörtlich übersetzt „Wie ist der Morgen?“ auf unterschiedlichen in Tansania gebräuchlichen Sprachen (Kigogo, Kihehe, Kijita, Kiswahili). Die offizielle Sprache Tansanias ist Kiswahili (neben Englisch), jedoch gibt es mehr als 120 Ethnien, die neben verschiedenen Traditionen auch jeweils unterschiedliche Sprachen haben. Eine Volksgruppe ist in der Regel in einer Region vorherrschend [2,4,5]. Die meisten lokalen Sprachen haben einen Bantu-Ursprung. Zu den großen ethnischen Gruppen zählen die Wasukuma, die größtenteils im Nordwesten Tansanias leben und ca. 16% der EinwohnerInnen ausmachen, die Wanyamwezi aus der Region Tabora und Shinyanga (ca. 1,5 Mio. Menschen) und die Wachagga, die ursprünglich aus der Kilimanjaro-Region kommen [5].

Anders als in manchen anderen Ländern mit ethnischer Vielfalt gab bzw. gibt es in Tansania keine großen auf lokalen Zugehörigkeiten basierende Konflikte, was unter anderem der Sprache des Kiswahili zu verdanken ist, die Tansania ethnienübergreifend vereint [4,5]. Außerdem gibt es trotz Größenunterschieden keine Gruppe, die kulturell bzw. politisch dominant ist. In Tansania gibt es eine ausgeprägte nationale Identität und vielen Menschen merkt man an, wie stolz sie auf ihr Land sind: Sätze wie „In Tansania gibt es keinen Streit, Tansania ist ein friedliches Land“ oder auch „hakuna matata“ - keine Probleme - hören wir sehr oft. Neben dieser nationalen Identität fühlt sich beinahe jeder Mensch einer ethnischen Gruppe zugehörig und viele Menschen sind neben Kiswahili mit einer lokalen Sprache aufgewachsen. Einige wenige Menschen der älteren Generation haben sogar nur ihre regionale Sprache gelernt und sprechen kein Kiswahili.

Entgegen häufiger Annahmen lässt sich die Volksgruppe eines Menschen oft nicht an seiner Optik und Kleidung erkennen. Die Ethnie, deren Kultur optisch präsenter ist als bei vielen anderen ist die der Wamaasai, ursprünglich aus dem Norden Tansanias sowie Kenia. Sie kleiden sich unter Anderem oft traditionell mit Tüchern und Schmuck und stechen dadurch heraus, doch selbst unter den Maasai gibt es einige, die sich „wie alle anderen“ kleiden und nicht als solche auffallen.

Im Zuge der Stadt - Land Migration und der Modernisierung verlieren sich einige lokale Sprachen allerdings allmählich. Die tansanische Regierung betont auf ihrer Website, dass sie mit ethnischen Gruppen kooperiert und dass Kultur, Sprachen und die Bewahrung dieser sehr wichtig seien. Daher sollten alle helfen, diese zu bewahren, weiterzuentwickeln und an kommende Generationen weiterzugeben. Es wird eine „Sammlung von Sprachstudien“ in Form einer Datenbank geführt, um Stammessprachen zu erhalten. Bis jetzt wurden bereits von 38 Gemeinschaften Sprachen gesammelt und erforscht. Außerdem hat heute fast jede Gesellschaft Traditionen, Bräuche usw. niedergeschrieben [1,3].

Die Wagogo

Die Wagogo sind eine hauptsächlich in der Dodomaregion ansässige Volksgruppe Tansanias. 1992 wurde ihre Bevölkerung auf 1.300.000 Menschen geschätzt, die Region ist historisch auch als „Ugogo“ bekannt. Tierhaltung ist fest in der Geschichte und den Traditionen der Wagogo verankert. Das liegt unter anderem an dem Land, das sie bewohnen und das durch unregelmäßige Regenfälle und Dürreperioden, die Landwirtschaft erschweren, gekennzeichnet ist. Über die Jahrhunderte waren die Wagogo von einigen Hungersnöten betroffen, die vor allem durch die unvorhersehbaren Wetterlagen, aber auch durch das Stehlen von Vieh durch deutsche und britische Kolonialisten auftraten [6]. Der Name der der tansanischen Hauptstadt Dodoma hat seinen Ursprung in der Sprache der Wagogo, die Kigogo genannt wird: Legenden nach kam ein Elefant zum Trinken an einen Fluss in der heutigen Dodomaregion und sank im Schlamm am Flussufer ein. Einige Wagogo beobachteten die Situation und riefen „Idodomya!“ -„Er ist gesunken!“ So gelang die Region an ihren Namen [7]. Kigogo ist genauso wie Kiswahili eine Bantusprache, in einigen Begriffen oder Formulierungen ähneln sie sich [6]. Hier in Dodoma werden teilweise auch Kigogobegriffe in den alltäglichen Kiswahiligebrauch integriert und statt „Uko poa“ - „Geht es dir gut?“ - auch schonmal „Uko mswanu?“ gefragt („mswanu“ ist Kigogo und bedeutet schön oder gut).

Berichte Angehöriger verschiedener Ethnien

Eliza, Idas Gastschwester, ist 32 und in Musoma am Viktoriasee aufgewachsen. Sie kann ihre ethnische Sprache, Kijita, hier in Dodoma natürlich nur sehr selten verwenden, spricht sie aber regelmäßig bei Telefonaten mit ihrer Familie. Die Sprache hat in ihrer Kindheit eine große Rolle gespielt, nicht nur Zuhause, sondern auch in der Schule mit Freund*innen hat sie Kijita gesprochen. Ihren eigenen Kindern hat sie ihre lokale Sprache nicht mehr beigebracht. Ihre elfjährige Tochter geht auf ein Internat in Iringa im zentralen Tansania. Ihr sechsjähriger Sohn wohnt noch zuhause in Musoma und kann Kijita verstehen, selbst aber nicht sprechen. Auf die Frage, welche Sprache, Kiswahili oder Kijita, sie lieber spricht, antwortet sie: „Ich spreche beide Sprachen gerne. Es kommt darauf an, mit wem ich spreche. Mit manchen Menschen spreche ich lieber Kiswahili, mit manchen lieber Kijita, je nachdem, woran ich bei der Person gewöhnt bin.“ Eliza berichtet auch von Dingen, die die Wajita und ihre Kultur ausmachen: „Wir essen sehr gerne Ugali aus Maniok [Ugali besteht typischerweise aus Maismehl und ist typisches Essen des Tansanischen Festlandes, Maniok ist eine kartoffelähnliche Knolle], Fisch aus dem Viktoriasee und Fleisch. Bohnen und Blattgemüse sind bei uns im Gegensatz zu andern Regionen Tansanias eher untypisch. Viele Wajita arbeiten im Bereich Landwirtschaft und Fischerei. Tänze und Lieder der Wajita gibt es natürlich auch“ Und was ist sonst noch wichtig? „Sisi ni wakarimu, tunapenda sana wageni!“ - „Wir Wajita sind sehr Gastfreundlich und wir lieben Gäste!“ „Ogendelela tiki?“ ist Kijita und heißt: "Wie geht es dir?""

Idas Gastmama Sophia ist in Chipanga, einem Dorf in der Nähe von Dodoma, aufgewachsen. Kigogo, die Sprache der Gogo-Volksgruppe, hat in ihrer Kindheit eine große Rolle gespielt und da sie jetzt in Dodoma wohnt, spricht sie es auch weiterhin viel. Ihre Mutter ist Mgogo, also Teil der Gogo-Ethnie, ihr Vater Mngoni (die Wangoni sind eine hauptsächlich im Süden Tansanias ansässige Volksgruppe). Zuhause in der Familie wurde Kigogo wenig gesprochen, da ihre Eltern unterschiedlichen Volksgruppen angehören. „Meine lokale Sprache habe ich erst so richtig in der Schule gelernt. Bei uns auf dem Dorf haben fast alle Mitschüler*innen Kigogo gesprochen.“ Obwohl die ethnische Zugehörigkeit traditionell über den Vater an die Kinder weitergegeben wird, fühlt sie sich nicht den Wangoni, sondern vielmehr den Wagogo zugehörig. „Ich bin mit Wagogo aufgewachsen, spreche ihre Sprache und esse ihr Essen. Ich bin eine Mgogo.“ Zur Kultur der Gruppe gehöre unter anderem das Blattgemüse Mlenda, sagt Sophia. „Kila mlo ni mlenda“ -„Jedes Essen beinhaltet Mlenda!“ Ein Wort auf Kigogo, das Sophia mag ist „Agwe“, das heißt so viel wie „du“ und wird häufig Sätzen vorangestellt.

Leas Gastschwester Husna (18) wurde in Iringa geboren und ist in der Stadt aufgewachsen. Ihre Eltern haben unterschiedliche Ethnien, sie selbst sieht sich aber als Mhehe, wie ihre Mutter. Die lokale Sprache Kihehe spricht sie nur wenig.

„Ich habe zugehört, wenn meine Mama mit Freunden gesprochen hat und manchmal spricht sie auch Kihehe mit mir. Ich verstehe es, selbst sprechen tue ich es aber nicht viel. Mit Freunden aus Iringa beläuft sich das vor allem auf Smalltalk, der Rest passiert dann auf Kiswahili.“

Sie möchte jedoch gerne, dass wenn sie einmal Kinder hat, diese Kihehe sprechen können. Über die Wahehe erzählt sie: „Die Wahehe haben eine freundliche, respektvolle Natur, sie arbeiten gerne zusammen und helfen sich gegenseitig“, außerdem gebe es viele weise Menschen. Typisch traditionelle Essen der Wahehe sind Kürbisse und die Bohnenart Kunde. Auf die Frage „was ist sonst typisch Hehe?“ erzählt sie von Trommeln, als traditionelle Kleidung fällt ihr nach etwas längerem Nachdenken Rinderleder ein. „Ndishukuru“ ist Kihehe und bedeutet „danke“.

Sterben Sprachen ethnischer Gruppen aus?

Im Laufe unserer bisherigen Monate hier in Tansania haben wir oft den Eindruck erhalten, dass lokale Sprachen in älteren Generationen noch sehr lebendig sind, bei jüngeren Menschen aber eher eine untergeordnete Rolle spielen. Wir haben uns und einigen Menschen die Frage gestellt, woher das kommen kann.

„Es stimmt, dass immer weniger Kindern die Sprache ihrer ethnischen Gruppe beigebracht wird. Das liegt vor allem daran, dass Volksgruppen sich immer mehr vermischen und kulturelle Grenzen immer mehr verschwimmen. Kinder haben oft Eltern zweier unterschiedlicher Ethnien. Wie sollen sie da beide Sprachen, Kiswahili und eventuell auch noch Englisch lernen? Oft gehen Kinder mittlerweile schon früh auf Internate in anderen Städten Tansanias. Dort können sie ihre regionale Sprache nicht verwenden, deswegen legen Eltern viel Wert darauf, ihnen vor Allem gutes Kiswahili beizubringen. Ich könnte mir deshalb schon vorstellen, dass besonders in Städten in Zukunft immer weniger Sprachen gesprochen werden, da es mit Kiswahili eine Sprache gibt, die alle Menschen verstehen.“ (Eliza)

„In der Stadt wird meine Sprache nicht mehr viel weitergegeben, viele jüngere Menschen können es nur noch ganz ganz wenig. Im Dorf hingegen wird es den Kindern schon von Kleinauf beigebracht. Und ich denke, das wird sich auch weiterhin so entwickeln.“ (Husna)

Unsere Erfahrungen

Zuletzt möchten wir von unseren Erfahrungen mit der Sprache Kigogo, aber auch anderen Sprachen in unserem Freiwilligendienst berichten. Ethnische Identitäten und -sprachen spielen hier eine wichtige Rolle und nach der Volksgruppe zu fragen, gehört beim Kennenlernen einer Person oft wie selbstverständlich dazu. Hier in Dodoma sind sehr viele Gruppen vertreten, weil die Stadt sehr groß ist und Menschen aus verschiedensten Regionen Tansanias herziehen, um beispielsweise zu studieren oder zu arbeiten. Obwohl die vorherrschende Sprache mittlerweile längst Kiswahili und nicht mehr Kigogo ist, lernen viele Menschen, die nicht der Gogo-Ethnie angehören, oft wenigstens Begrüßungen auf Kigogo. So machen wir Beide das auch und Kigogo (genauso wie andere lokale Sprachen) sind für uns hier zu Türenöffnern geworden. Gerade, wenn man ältere Menschen auf Kigogo anspricht, freuen sie sich sehr und manchmal hilft die Sprache, Menschen zu beweisen, dass man sich integrieren möchte und das man auch Kiswahili sprechen kann („Du bist wirklich schon ein Mbongo (eine Tansanierin), du kannst ja sogar Kigogo sprechen!“). Genauso, wie junge Menschen sich freuen, wenn man Kiswahili-Jugendsprache verwendet, freuen sich besonders ältere Menschen, wenn man sie auf ihrer lokalen Sprache anspricht. Teilweise werden wir auch nach unserer „kabila“, unserer Volksgruppe gefragt. Dass wir keine lokale ethnische Zugehörigkeit haben, ist für viele Menschen fast unvorstellbar. „Kabila langu mjerumani?“ - Unsere Volksgruppe, ist das einfach Deutschland? Wir sind der Meinung, dass man das nicht vergleichen kann, genauso wenig, wie regionale Dialekte in Deutschland mit ethnischen Sprachen Tansanias.

Ich (Ida) wohne in einer Gastfamilie, in der drei verschiedene Ethnien vertreten sind: Wagogo, Wajita (aus Musoma am Viktoriasee) und Wangoni (Südtansania). Mittlerweile haben mir meine Familienmitglieder verschiedene Begrüßungen aller drei Sprachen beigebracht. Gerade meine Bibi (meine tansanische Oma) spricht sehr viel Kigogo und freut sich jedes Mal, wenn ich ein neues Wort gelernt habe oder auch nur, wenn ich ihr auf Kigogo eine gute Nacht wünsche.

Ich (Lea) habe Gasteltern unterschiedlicher Volksgruppen. Meine Gastmama ist in Kisima, einem Dorf im Süden der Region Dodoma aufgewachsen und ist Mgogo. Sie hat mir sogar einen Kigogo Namen gegeben (Mbeleje) und ich werde unter Wagogo Menschen nun öfters so vorgestellt, was ich irgendwie schön finde. Einige meiner Gastschwestern sind ebenfalls Wagogo, andere Wahehe (aus Iringa) und Wanyakyusa (aus Mbeya). Öfter mal werden Vorurteile gegenüber ethnischen Gruppen angesprochen und dann entstehen manchmal sehr witzige Diskussionen, etwa darüber, ob es stimmt, dass Wahehe Hunde essen. Ich finde es toll, dass ich so einige Begrüßungsfloskeln auf verschiedenen Sprachen lernen und auch anwenden kann, etwa als ich einmal mit meiner Gastmama ihr Dorf besucht habe. Ich nehme es so wahr, dass sich Menschen sehr freuen, wenn man sie auf ihren lokalen Sprachen grüßt und ebenfalls, wenn sie einem etwas beibringen können. So habe ich zum Beispiel ein paar Worte Kimaasai gelernt, als ich daneben saß, als ein Maasai meiner Gastmama die Haare frisiert hat. Kigogo ist bei uns auch besonders im Rahmen der Kirche sehr präsent, wo Frauengruppen im Gottesdienst Lieder auf der Sprache Dodomas singen (wunderschön!) und auch wenn man sich nach dem Gottesdienst unterhält, hört man, dass viele Menschen Begrüßungen auf Kigogo austauschen.


Textquellen:

[1] https://www.tanzania.go.tz/topics/culture-arts-and-sports

[2] https://ifahamutanzania.com/watu-tanzania/maisha-ya-kila-siku-na-maadili-tanzania/vikundi-vya-kikabila-vya-tanzania-makabila/vikundi-vya-kikabila-katika-tanzania-bara/

[3] https://www.parliament.go.tz/primary_questions/174/3648/read

[4] https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_ethnic_groups_in_Tanzania

[5] https://www.worldatlas.com/articles/ethnic-groups-of-tanzania.html

[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Gogo_people

[7] https://www.thecitizen.co.tz/tanzania/oped/dodoma-was-destined-to-be-the-nation-s-capital-2588764